Ein Monat zweite Heimat

Was in meinem zweiten Monat auf Reisen passiert ist? Ich würde sagen: Das Leben! Aber so richtig – unerwartet, intensiv, echt! Ich verbrachte einen ganzen Monat auf Koh Kood, meiner zweiten Heimat. Und das Leben sollte eine ganz besonders wichtige Herausforderung für mich bereithalten. Diese Insel ist halt wirklich nicht ohne!

Leben auf einer Insel

Als ich in Koh Kood ankam, war erstmal alles so bekannt. Dennoch hatte sich etwas verändert: Es waren deutlich weniger Menschen auf der Insel und außerdem manche der Resorts einfach vom Dschungel verschluckt. Es stimmte mich traurig, doch mit den Tagen entdeckte ich, dass durchaus neue Gebäude gebaut wurden und damit Hoffnung auf ein gutes Leben nach Corona aufflammte. Aber viel wichtiger war ja das Wiedersehen mit meiner Thai Mama Jah sowie ihrer Cousine Jai, die ich zum ersten Mal traf. Jai ist der pure Sonnenschein, es gibt keinen Tag, an dem sie nicht lacht, und kein Thema, das sie traurig stimmen könnte. Auch Thomas, Jahs Ehemann, sowie seine Eltern und Bruder waren da. Es war wirklich angenehm, eine Art Familie zu haben. Gerade Thais geben einem schnell das Gefühl, für immer willkommen zu sein und ein Teil von etwas Größerem. Dazukommt der besondere Flair der Insel, den ich einfach nicht in Worte fassen kann. Du musst das selbst erlebt haben.

Nach kurzer Zeit war ich auf den Rhythmus der Insel eingespielt, fuhr an Strände, legte mich nachts aufs Pier und schaute in die Sterne, half tagsüber einer anderen thailändischen Freundin beim Bau ihrer Bar oder fuhr mit ihrer Tochter Indy an einen Wasserfall. Dort tauchten wir um die Wette, fanden kleine, kostbare Schätze, holten uns danach ein Eis oder aßen das beste Essen, das man sich vorstellen kann. Am Strand warfen wir mit einer Art harten Frucht, weil kein Ball griffbereit war. Oder wir buddelten uns gegenseitig im Sand ein, den wir kurz zuvor benutzt hatten, um am Strand ein „Wohnzimmer“ zu bauen. Einmal nutzten wir auch das StandUpPaddle Board und ließen uns über türkisblaues Wasser treiben. Du kannst dir bestimmt vorstellen, dass ich mir so auch mein restliches Leben hätte vorstellen können, oder?

Anziehung zweier Universen

Ein paar Tage nach Weihnachten bahnte sich etwas an, das mein gesamtes Leben durcheinanderbrachte. Erwartet habe ich das nicht. Im Nachhinein betrachten sich manche Dinge viel offensichtlicher, doch erst einmal musste all das passieren, was zwischen Weihnachten und Neujahr geschah. Ich sprach eines Morgens eine Frau bei uns im Coffeeat an (das Café und Restaurant von Jah), ob sie schon einen Plan für den heutigen Tag hat. Ich war fast zwei Wochen allein in Koh Kood gewesen, da anscheinend ausschließlich Paare auf die Insel kamen. Ich hatte Lust, auch mal etwas mit anderen zu unternehmen.

Julia, sie hieß die junge Frau, hatte noch zwei andere Freunde, mit denen sie zum Wasserfall wollte. Wir aßen gemeinsam Mittag, ich stellte mich und mein Leben vor (so, wie es meistens zwischen Reisenden passiert) und dann fuhren wir los.

Später verbrachten wir einen Abend am einsamen Strand, mit Musik und sternenklarem Himmel. Während Julia und Tim über viele Dinge philosophierten, war ich beeindruckt von den beiden und ihrer Art, wie sie die Welt sehen. Ich fühlte mich wieder lebendig, denn Reisen war für mich auch das Reisen zu uns selbst und den Sichtweisen anderer Menschen. Nach diesem Abend war ich das erste Mal allein mit Julia an einem Strand. Sie in der Hängematte und ich auf der Sonnenliege sprachen wir das erste Mal über tiefgründigere Dinge. Ich lernte die Seele kennen, die in dieser Frau wohnt. Es folgten weitere Tage, an denen wir an einen Strand fuhren, redeten, uns öffneten. Um ehrlich zu sein, muss da eine unglaubliche Anziehung gewesen sein, die uns auf intellektueller Ebene gegenseitig anzog. Es ist nicht so, dass ich auf eine tiefgreifende Verbindung zu ihr aus war. Immerhin hatte ich meine Freundin zu Hause, die auch bald mit mir reisen würde. Aber für mich sind oberflächliche Gespräche absolut uninteressant, sie geben mir nichts an Greifbarkeit, an Herausforderung für mein eigenes Leben. Mit Julia und ihren Lebensthemen wurde ich aber herausgefordert – Ansichten festigen oder hinterfragen, Standpunkte verteidigen, komplett neuen Themen begegnen. Das ist nicht nur erfüllend für mich, nein, es ist in meinen Augen der Inbegriff von Reisen. Von Leben. Erst die Interaktion mit anderen Menschen bringt uns uns selbst etwas näher. Und das genoss ich in dem Moment.

Das Leben geschieht im Moment

Das Stichwort lautet „Moment“. Ich war auf Reisen, in einem anderen Land, auf einer Insel, die so komplett anders ist als Deutschland. Ich genoss nicht nur die Anwesenheit all der Menschen, die ich fast als Familie bezeichnete, ich genoss nicht nur jeden Bissen des leckeren und gesunden Essens, ich genoss auch den Sand unter meinen Füßen, das salzige Wasser auf der Haut, das schnorchelnde Entdecken ferner Unterwasserwelten, die urgewaltige Anwesenheit des Dschungels, das Lächeln offener Thais und so vieles mehr, das ich hier aufzählen könnte. Als sich Silvester näherte, war ich in einem Modus, den ich – solange ich mich zurückerinnern kann – nie erlebt habe. Ich war so sehr dankbar für winzig kleine Dinge, dass ich ständig Tränen in den Augen hatte, in meiner Brust ein warmes Kribbeln spürte und mein Leben, wie ich es mir bis zu diesem Punkt gestaltet hatte, unendlich liebte. Am Wasserfall saß ich auf einem großen Stein und mein Blick schweifte über das Grün des Dschungels. Unzählige Schmetterlinge flatterten durch die Luft. Ich bewunderte ihre Verwandlung von Raupe zu Puppe zu Schmetterling und fragte mich, was das Universum damit beabsichtigt hatte. Ich wusste: Gar nichts, außer dass es einfach so sein sollte. Die grüne Farbe der verschiedenen Pflanzen allein machte mich glücklich. Die lebendigen Geräusche des Waldes taten ihr Übriges. 

Fast jeden Abend zeigte sich die Sonne beim Untergehen von ihrer phänomenal schönsten Seite. Es fühlte sich an, als würde sie mit ihrem Farbspiel beim Heilen meines Herzens helfen. Ich war gefüllt mit Bewunderung für dieses unglaublich zauberhafte Spektakel.

Intensivstes Silvester meines Lebens

Am Silvesterabend trugen Julia und Zoe (die vierte im Bunde) Makeup. Julia erkannte ich nicht einmal, dabei trug sie kaum etwas im Gesicht. Ich hatte echt gedacht, es wäre jemand Neues im Hostel angekommen. Dieser positive Schock saß noch eine Weile in meinem Herzen. Ich war wahrlich beeindruckt.

Nach einem gemeinsamen Abendessen spazierten wir den Strand entlang zu einer Bar, die uns aber nicht gefiel. Bald war es Mitternacht und ein paar Minuten vor dem großen Knall entdeckten wir eine gigantische Feuershow, die uns allesamt mit offenen Mündern dastehen ließ. „Three, Two, One – Happy New Year!“, hieß es dann, Julia fiel mir und Zoe um den Hals. Wir alle freuten uns, genau in diesem Moment hier zu sein. Ab ging es in eine andere Bar, in der elektronische Musik gespielt wurde. Zoe fuhr aufgrund von Schmerzen nach Hause. 

Die Bar befand sich direkt am Wasser, war aus Holz und zu allen Seiten offen. Nach einem Drink rauchte ich den Joint, der schon über eine Woche auf seinen finalen Moment gewartet hatte. Ich teilte ihn mit Julia und Tim. An der Stelle werde ich weniger ausführlich, da der Artikel sonst zu lang werden würde. Du musst wissen: Dieser Abend, das Tanzen, Julia auf einer Wellenlänge mit mir – beide total high – war ein perfekter Abend. Wir lachten uns halb schlapp, ich begegnete inneren Ängsten, wir lachten wieder. Es war das stärkste Gras, das ich je hatte. Und das lag sicher auch an meiner übertrieben guten Verfassung.

Auf dem Rückweg hielten wir an einem anderen Strand, an dem Dekoration ausgelegt war, darunter eine übergroße Muschel mit runder Lampe, die die Perle darstellen sollte. Wir setzten uns einfach da rein und redeten. Sowohl Koh Kood als auch die Nähe zu Julia ließen das Wort „Zeit“ einfach verschwinden. Es gab keine genaue Uhrzeit. Da ich sowieso das Handy meistens Zuhause ließ, war die Zeit unwichtig. Alles geschah im Moment, weder früher noch später. Und wenn du diesen Zustand schon mal erlebt hast, weißt du, wie erfüllend das sein kann. Ich kann nicht leugnen, dass da eine unglaubliche Anziehung war. Ich nahm sie anfangs einfach noch nicht so wahr.

Alles anders, als gedacht

Da die Situation keinesfalls einfach war, möchte ich auch an der Stelle kürzen. Ich spürte, dass es meinem Herzen unglaublich gut ging. Dabei war dieses Gefühl unabhängig von Julia entstanden. Es kam allein aus mir selbst. Julia hatte einfach mit ihrem Zustand den letzten Riegel umgelegt. 

Ich staunte über diesen Zustand, ich liebte diesen Zustand, denn traurigerweise hatte ich ihn wahrscheinlich mehr als 20 Jahre meines Lebens nicht gespürt. Ich hatte mein Herz verschlossen für die kleinen und großen Freuden des Lebens. Mein Leben hatte aber endlich genug davon, es wollte mir nun endlich die Pforten öffnen und die Kraft meines Herzens vollkommen entfalten.

Daher stand eine unglaublich schwere Entscheidung bevor: Sollte ich meinem Herzen folgen, das ich nun endlich spüren und hören konnte, oder sollte ich in meiner Beziehung bleiben, die wundervoll war, aber in der ich nicht mein ganzes Potenzial entfalten konnte? Obwohl es so eine immens verantwortungsvolle Entscheidung war, wahrscheinlich die schwerste meines Lebens, schaffte ich es das erste Mal, komplett alleine die Antwort zu finden. Ich fragte weder Familie noch Freunde, was sie davon hielten. Ich hörte einzig und allein auf mein Herz. Und es sagte mir, ich sollte diese verrückte Entscheidung treffen und dem Leben vertrauen, dass alles so kommt, dass es am Ende gut wird. Ich entschied mich dafür, die Reise mit Julia weiterzuführen.

Damit änderten sich alle Pläne für die kommenden Monate, ich enttäuschte sicherlich auch viele Menschen, aber es ging mir nicht mehr um die Reaktionen anderer. Ich würde immer jemanden verletzen, immer jemanden enttäuschen, aber am wenigsten sollte ich selbst diese Person sein. Nur ich führe mein Leben und nur ich trage die volle Verantwortung dafür.

Damit wurde mir klar: Mein Leben gab mir diese Reise nicht, um in erster Linie einen Job zu finden oder auf Reisen zu arbeiten. Es gab mir die Reise, um die wahre Liebe in meinem Herzen zurückzubekommen, meine inneren Limitierungen zu sprengen und mein volles Potenzial zu entfalten.

Ausklang

Nun bin ich nicht, wie geplant, in Malaysia, sondern in Laos, einem neuen Land, das nie auf meiner Liste stand. Und ich muss sagen, dass es mir wirklich echt gut hier gefällt. Es wird sicher eine abenteuerliche Zeit, doch mit einem offenen Herzen und einem echten Lächeln auf den Lippen wird sich mein Weg schon offenbaren. Und ich gehe ihn ja nicht allein.

Danke für dein Interesse an meiner Reise, die sehr viel mehr ins Innere meiner Seele führt, als du es vielleicht erwartet hast. Doch das macht dir umso deutlicher, dass es nicht nur um Orte und Menschen geht, die man besucht, es geht um die eigenen Grenzen, die man überschreitet, und dass jeder Tag eine Chance ist, etwas Neues zu lernen.

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