Ich befinde mich auf der Schlussgeraden einer Zeit, die mich ins All katapultiert hat. Ich stehe am Ende eines Abschnitts in meinem Leben, der nicht intensiver, realer, erfüllender und bewegender sein könnte. Ich stehe am Ende von über 130 Tagen, 58 A4-Seiten an kurzgehaltenen Tagebuchstichpunkten, 25.000 Wörter, die nicht mal im Ansatz beschreiben, was in der Welt, die ich bereiste und mit meinem persönlichen Blick erkundete, geschehen ist. Und doch tippe ich diesen Text, damit du dir vorstellen kannst, welches Universum sich in mir befindet, was für eine traumhaft schöne Galaxie um mich wirbelt und wie hell die Sterne derzeit leuchten.
Ramthas Lehren
Alles ergab sich in den letzten Wochen, in denen ich das Alleinreisen kaum noch aushielt. In den letzten Wochen, in denen ich erst komplett ohne Touristen durch Thailand reiste und dann gleich in die touristischste Gegend flog, um nochmal Inseln und Strände zu genießen. Diese Kontraste machen das Leben spannend, sie geben dem ganzen Spiel Feuer und bringen Bewegung in Kopf und Herz. So auch bei mir.
Ich begann wieder Ramthas Lehren zu lesen. Nach bestimmt über einem Jahr, in dem ich das Buch nicht anrührte. Und dass dieses Buch für mich eine ganz besondere Energie hat, merkte ich daran, dass sich nach dem Lesen alles in meiner Umgebung dem fügte, was darinstand. Menschen sprachen auf einmal über dieselben Inhalte, nutzten dieselben Worte, die ich sonst noch nie vorher gehört hatte. Das ist keinesfalls ein Zufall.
Ich begann – ohne, dass ich das plante – mein Instagram umzustrukturieren. Es ist der Spiegel meiner Interessen, also kann ich auch jeden Tag entscheiden, was ich mir dort „reinziehe“. Ich weiß ganz genau, wofür es die meisten Menschen nutzen. Ich weiß, wofür ich es die letzten Monate genutzt habe: Mal abschalten, lachen, witzige, leichte Kost verdauen. Aber an diesem einen Tag begann ich einfach Videos zu schauen, von denen ich nicht mal sagen kann, wo sie herkamen. Sie waren einfach da. Tiefgründige Erkenntnisse, die Menschen mit der Welt teilen. Tiefe Wahrheiten über das Universum, Bewusstsein, Energie und Gott. Worte, die ich auch in Ramthas Lehren gelesen hatte.
Es fühlt sich an, als wäre ich jahrelang auf offener See gesegelt und hätte nie in irgendeiner Richtung auch nur ein Stück Land gesehen. Doch jetzt nimmt das Boot richtig Fahrt auf und plötzlich schließt sich ein Kreis. Das Meer wirkt nicht mehr endlos und unübersichtlich. Auf einmal kann ich die Ränder erkennen und sehe, dass sich alles berührt. Auf einmal ist es ein See, der mich nicht mehr mit einer Endlosigkeit einschüchtert. Er wird still und gibt mir die Möglichkeit anzulegen. Und von einem kleinen Boot auf das weite Festland zu treten, das ist ein ungeheuer energievolles Gefühl von Freiheit.

Müde von all den Geschichten
Am Anfang der Reise war ich nicht wirklich interessiert an diesen Verbindungen zwischen Reisenden. Immer dieselbe Geschichte erzählen, immer wieder nach kurzer Zeit weiterziehen. Sich immer wieder denken, dass die Verbindung auch nur oberflächlich war. Ich war im Grunde müde von so etwas. Ich weiß, dass hinter jedem Gesicht auch eine bewegende Geschichte steckt, aber es kommt ja immer noch darauf an, ob ich mich in dem Moment damit beschäftigen kann, dazu imstande bin. Und ich fühlte mich am Anfang meiner Reise nicht danach.
Dann sind so viele Sachen passiert, viele Emotionen, wichtige Entscheidungen, Schmerz und Liebe, dass alles in mir wachgerüttelt wurde. Ich saß manchmal apathisch da und ließ all das wirken, was ich erlebt hatte. Die schweren Tränen, die zitternden Worte. Ich habe in dieser Reise nicht nur ein Ende erlebt. Aber wie die Dinge endeten, das berührte mein Herz und ich hörte es sagen: „Ich will das nicht mehr erleben, Martin! Bitte finde heraus, was genau geschehen ist und versuche morgen schon eine bessere Version deiner Selbst zu sein.“
Meinem Selbst Raum geben
Ich schmiss mich in einen abenteuerlichen Roadtrip, der mir unglaublich schöne Erinnerungen einbrachte. Ebenso wie drei Wochen gefühlter Stille. Was ich größtenteils hörte, war ich selbst. Reflektieren, was war, bis weit zurück in meine Kindheit. Hinterfragen von fest geglaubten Tatsachen, die vielleicht gar nicht so sind. Umdrehen aller Ansichten und Analysieren der Gründe für mein Denken und Handeln. Du kannst dir vielleicht gar nicht vorstellen, wie viel Freiraum es gab, wenn ich stundenlang auf dem Motorrad saß, früh und abends alleine war und nicht allzu viel Kontakt zu meinen Leuten hatte. Ich erschuf einen schier endlosen Raum für all die Erlebnisse, ich breitete sie vor mir aus und dann sortierte ich. Längst nicht alles, was zu sortieren war, mein Körper und mein Geist haben auch ihre Kapazitäten. Aber es lief sehr viel ab. Und die Ergebnisse sah ich gar nicht sofort. Die Ergebnisse sind nicht mal wirklich greifbar. Sie sind ein Gefühl, fleckenhaft. Als würde sich an manchen Stellen der Nebel lichten und an anderen noch verharren.
Drei Wochen fast alleine, in denen ich immer mehr den Drang verspürte, mich mit Menschen zu unterhalten. All das, was in mir war, auch mal in die Welt zu geben und zu schauen, welche Resonanz zurückkommt. In meinen Augen ein nicht zu unterschätzender Akt der Selbstreflektion, da wir uns ja auch in jedem anderen Menschen spiegeln. Manchmal hatte ich diese Gedanken, dass ich sicher nur wegrennen will vor dem Alleinsein. Dass ich mich mit Menschen umgeben möchte, damit ich meine innere Stimme nicht mehr höre. Heute weiß ich, dass ich alles genau so richtig gemacht habe, wie es gut für mich war. Und manche Menschen halten nicht mal einen halben Tag aus. Du kannst dich ja mal fragen, ob du diese drei Wochen allein ausgehalten hättest.

Zurück in Europa?
In Koh Tao erlebte ich dann den krassen Gegensatz zu meinen ruhigen Tagen davor. Überall Europäer, die wie ein Virus alles auf der Insel verseuchten. Ja, so krass kam es mir vor. Laute Musik, Cafés wie in Paris, Restaurants wie in Amerika. Das originale Thailand sieht einfach anders aus. Ich brauchte meine Zeit, um zu verstehen, was vor sich ging. Am letzten Abend auf Koh Tao, an dem ich allein zu einer Strandbar gegangen war, um den Sonnenuntergang anzuschauen und einen leckeren Brownie* zu essen, lief so gute Musik, dass ich mit dem DJ ins Gespräch kam, der einfach 66 Jahre alt war und denselben Musikgeschmack hatte wie ich, viel Bass und bewegende Melodien und Vocals. Er war seit fünf Jahren in Rente, drei Jahre auf Koh Tao und seit eineinhalb Jahren DJ. Ihm war langweilig gewesen, da hat er sich ein Mischpult gekauft und mit YouTube gelernt. Kannst du dir das bei deinem eigenen Opa vorstellen? Oder deinen Eltern? Ich wünsche jedem solche Eltern, Großeltern, aber ich weiß, dass das nicht so oft vorkommt.
Ich verstand an dem Abend, wie viel Raum eigentlich Musik in meinem Leben einnimmt. Musik ist für mich wie eine Wiege, in der ich zum Rhythmus des Universums langsam in Trance falle und Eins werde mit der Unendlichkeit. Musik trägt mich sanft in mein eigenes Universum und bringt mich an Orte, die ich allein nicht entdecken würde. Musik ist in meinen Augen eines der wertvollsten Geschenke des Lebens und auf der Reise habe ich mir auch eingestanden, dass Musik durchaus ein Kriterium sein kann, zu entscheiden, ob ich mit Menschen eine tiefere Beziehung eingehen möchte.
*mit Marihuana
Allein sein – Kunst oder Qual
Ich glaube, Alleinsein darf keine Qual sein, sondern darf als ein fester Bestandteil unseres Lebens angesehen werden. Es bietet Raum für Reflektion, Innehalten und Hören, was in mir vor sich geht. Es ist in meinen Augen sehr bedeutend für innere Entwicklung. Wenn ich jeden Tag nur von äußeren Stimmen abgelenkt werde, von bunten Farben und Problemen der Welt, dann habe ich nie Zeit, diese Eindrücke abklingen zu lassen. Dann mache ich das vielleicht extra, weil ich Angst vor der Stille habe. Dann kann ich erst recht die Herausforderung annehmen, mal zu schauen, wie ich mich alleine fühle. Ich kann dir versichern – es wird dich nicht zerstören.
Solange ich nicht gezwungenermaßen allein sein muss, weil es absolut niemanden um mich herum gibt, ist Alleinsein ein Teil von Heilung. Und jeder, der es bereits ausprobiert hat, bemerkte sicherlich, dass nie etwas wirklich Schlimmes passiert – im Gegenteil. Wir finden immer ein Stückchen mehr zu uns selbst. Und das ist eins der bedeutendsten Geschenke, das wir uns selbst machen können. Ich sehe das Beispiel in den Bienen: Sie versammeln sich am Bienenstock und summen gemeinsam auf einer Wellenlänge. Sie tauschen den Nektar und die Pollen der Blüten aus, unterstützen sich gegenseitig und achten aufeinander. Sie wissen, dass sie dort gut aufgehoben sind. Doch jeden Tag fliegen sie für eine gewisse Zeit raus in die Welt, allein. Immer allein! Sie wissen, dass das sein muss. Und sie wissen auch, dass sie irgendwann wieder am Bienenstock sein werden. In dieser Zeit des Alleinseins sammeln sie Pollen, die im Grunde mit Erfahrungen gleichbedeutend sind. Sie müssen wissen, wann die Beinchen nichts mehr tragen können und zurückfliegen. Wenn sie sich übernehmen und zu weit entfernen, ja, dann kann es schon mal passieren, dass eine Biene nicht mehr zum Bienenstock zurückfindet. Dass sie die Kraft verliert und vielleicht sogar vergisst, wie gut es sich angefühlt hat, mit den anderen zu summen.
So bleibt es eine Kunst, das Gleichgewicht aus Allein- und Zusammensein zu finden. Es ist eine Kunst, sich den eigenen Ängsten zu stellen. Und Kunst ist immer ein Prozess mit einem bewegenden Ergebnis. Manchmal mit, manchmal ohne Intention. Aber immer mit Mut. Und Mut ist nichts weiter, als trotz Angst zu handeln.
Ende

Nicht nur „Alleinsein“, sondern auch das Wort „Ende“ kann sehr beängstigend sein. Sicher verstehst du genau, was ich meine. Doch schon auf meiner ersten Reise habe ich gelernt, dass ein Ende gleichbedeutend ist mit Neuanfang. Es gibt kein Ende ohne den Beginn einer neuen Episode im Leben. Was uns fürchtet, ist oft der Verlust. Wenn wir nicht mehr das haben können, was wir so lieben. Weil wir erfahren haben, wie es uns das Herz zerreißt. Doch was genau zerreißt uns das Herz bei einem Verlust? Unsere Hände, die vergeblich nach etwas greifen, das nicht mehr da ist. Der Wunsch, wenn nicht sogar das Verlangen, dass das, was wir verloren haben, noch da wäre. Wir wollen es für immer festhalten. Oder wenigstens noch ein Jahr, einen Monat, einen Tag. Vielleicht wollten wir noch etwas aussprechen, noch etwas gemeinsam erleben.
Das Leben funktioniert so nicht. Es gibt uns Aufgaben, an denen wir wachsen und erkennen dürfen, dass nichts für immer bleibt, solange, bis wir es verstehen und akzeptieren. Und wenn wir das tatsächlich erkennen, dann fangen wir an, jeden einzelnen Moment wertzuschätzen. Das braucht seine Zeit, aber es ist möglich.
Und so sehe ich auch meine Reise. Ich bin verdammt traurig, dass all das vorbei ist. Ich übertreibe keineswegs, wenn ich sage, dass sich die viereinhalb Monate wie ein ganzes Leben angefühlt haben. Ich bin durch extreme Höhen und extreme Tiefen gegangen, gefolgt von Stille und Bewegung. Ich beende dieses Leben heute mit dem Flug zurück nach Deutschland. Und weißt du, wie extrem traurig ich darüber bin? Ich denke an so viele Ereignisse. Alles hallt nach und holt mich wieder ein. Dann lache ich, um direkt im nächsten Moment zu weinen. Aber den Rahmen um all meine Gefühle bildet die Dankbarkeit. Gefühlte, wahrhaftige Dankbarkeit für mein Leben, meine Sichtweise, meinen Mut, für all die Farben, all die Tiere, die viele Sonne, den Geruch des Meeres, ja selbst verfaulende Fischreste. Für jedes Gefühl, das in mir hochkam, für jede Träne, für jedes Lachen. Für jeden einzelnen Menschen, der mir in die Augen sah, die Gastfreundlichkeit, die ins Unermessliche reicht. Für all die Herausforderungen. Für meinen Weg, auf dem ich total beschützt wurde.
Früher, als Kind, hätte mich diese Flut an Erinnerungen zerrissen. Ich habe immer vor Augen, wie sehr es damals geschmerzt hat, wenn wir bei meinem damals besten Freund zu Besuch waren, der weit weggezogen war. Wie ich an der Autoscheibe klebte und die Tränen kullerten, wie ich diesen Schmerz nicht zurückhalten konnte. Ich war machtlos. Ich wurde gezwungen, loszulassen, obwohl ich es gar nicht wollte. Das zerriss mir schon als Kind das Herz. Du kennst so eine Situation bestimmt auch.
Aber heute! Da bin ich aus dieser Ohnmacht heraus. Ich durfte durch den Schmerz von damals einen so langen Weg gehen, der mich heute an die Stelle bringt, an der ich sagen kann, dass ich zutiefst mit Dankbarkeit erfüllt bin. Dass mich die Trauer glücklich macht, denn sie zeigt, dass ich lebe. Sie zeigt, was ich Besonderes erlebt habe. Sie zeigt, dass ich jeden einzelnen Moment immer weitertragen werde. Ich kann die Dinge nicht festhalten. Oder doch? Trage ich sie nicht in meinem Herzen weiter und wenn ich die Augen schließe, erfahre ich all das nochmal? Dann rufe ich die schönen Gefühle ab und fühle mich gut, grinse vielleicht sogar? Ist am Ende nicht alles einfach nur Erfahrung, Emotion und Gedanke? Es bleibt nicht der Körper für immer, sondern die Emotion, der Gedanke an das, was wir entscheiden, in uns zu tragen. Lies diesen Absatz nochmal!
Lieber Leser, Liebe Leserin,
ich habe mir gerade die Zeit genommen, all das niederzuschreiben, das im Grunde (egoistischerweise) nur mir selber dient. Ich habe beim Schreiben mehrmals geweint, irgendetwas hat sich gelöst. So bezeichne ich diesen Text als Kunst, da er meinen Zustand widerspiegelt, wie ein Gemälde, nur male ich mit Worten. Mein Text steckt voller Gefühle, die du sicher spüren kannst. Gern würde ich wissen, was diese Worte in dir auslösen.
Und zum Abschluss möchte ich mich kurz mit dir verbinden:
Egal, wo auf deinem Weg du dich gerade befindest, ich sende dir Liebe und Anerkennung für deine Kraft und Ausdauer. Ich bestaune, was du bisher alles geschafft hast. Du machst das echt gut! Ich umarme dich herzlich, mit all meiner Liebe, der egal ist, ob wir uns schon Jahre kennen, gerade erst getroffen haben oder uns noch nie über den Weg gelaufen sind. Ich möchte dir einfach mitteilen, dass du wunderbar bist. Ich hoffe, du hast die Zeit des Lesens genossen. Ich bin dir von Herzen dankbar, dass du sie dir genommen hast.
Martin
Wenn du wissen willst, was mir sonst so innerlich passiert ist, kannst du gern den Beitrag „Ein Monat wie ein Jahr“ lesen.
Ach Martin, Deine Worte haben mich gerade zutiefst bewegt und mich zu Tränen gerührt. Auch wenn Du alles nur für Dich aufschreibst, um alles zu verarbeiten, gibst Du Menschen um Dich herum so unglaublich viel damit. Wie mir. Ich bin so dankbar, Dich durch Deinen Blog auf Deiner Reise begleitet zu haben, die auch für mich wieder einige neue Erkenntnisse bereithält und mich Dich noch viel besser kennenlernen ließ. Danke, dass es Dich gibt.
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Ich find das schön zu lesen, selbst wenn ich den gleichen Urlaub gehabt hätte, hätte ich nicht solche deepen Gedanken gehabt.
Danke dafür Martin 🙂
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